Eigentlich sollte es nur ein Kochrezept werden – aber nicht von Albert Hofmann †

Vor einigen Tagen fand ich diesen Text wieder, sechs Jahre sind seit dem ins Land gegangen – XXX.IV.MMII
Bis highnoon ergaben sich an diesem Vormittag nichts weiter als jene üblichen Belanglosigkeiten, die sich täglich, wie Perlen auf einer Schnur auffädeln ließen. Was soll man dazu ablassen, jede Hausfrau ist doch mit diesem Problem vertraut. Mir als Typ geht es da nicht anders.
Den ganzen Morgen gemuddelt und nichts geschafft. Na ja, es war nicht ganz so. Endlich mal die Balkonfensterfront in kürzester Zeit fast streifenfrei blank bekommen, zwei riesige Altbaufenster plus Tür, alles doppelt, und außen mit vielen kleinen Sprossen. Dies ist einem Tip der yellow press zu verdanken – die Schwiegermutter, nur wegen der Rätsel kauft. Gerade dabei, mein Wissen über europäischen Fürstenhäuser etwas aufzufrischen, als zwischendurch ein wichtiger Hinweis für die Hausfrau aufblitzte: „Der korrekte Umgang mit einem Mikrofasertuch.“ Wie alle machte ich es natürlich falsch, und arbeitete nebenher immer noch mit Chemie. Leute, nix is mit diesen stinkenden Flüssigkeiten für frustrierte Putzteufel – pures, etwas warmes Wasser aus Hahn ist angesagt. Offenbar genügen für den Reinigungsprozess, die im Trinkwasser befindlichen Verunreinigungen, schließlich war es Anfang der Siebziger auch ohne weiteres möglich, mit Rheinwasser Schwarz-Weißfilme zu entwickeln.
Angespornt vom Putzerfolg, beschloss ich etwas zu kochen, die dazugehörenden schmackhaften Ingredienzien mussten allerdings im U-Bahnhof „Fehrbelliner Platz“ besorgt werden. Einkaufen im Supermarkt ist heute out, cool ist doch bei Feinkost ARAL shoppen zu gehen, oder eben im underground.
Endlich gibt es, fast 12 Jahre nach der Heimholungen der verbliebenen deutschen Ostgebiete in den Bund, im ehemaligen britischen Sektor von Großberlin, auch Köstlichkeiten aus dem Spreewald. Allerdings immer noch versteckt und auf mehrere U-Bahnhöfen verteilt, der nächste Grünzeugdealer in unserer Nähe, befindet sich im Fehrber.
Ach so – Spreewald!
Wie soll man den jüngeren Zeitgenossen in den ehemaligen „alten Bundesländern“, ohne die selbständige Einheit Westberlin erklären, was der Spreewald ist.
Ganz alten Wessis wird er vielleicht noch eher etwas sagen, besonders denen die als ehemalige Reichsdeutsche in Schlesien beheimatet waren. Klar, von Berlin aus ist es südöstlich, in Richtung der kalten Heimat.
Zu Mauerzeiten war es für Zugereiste, oder Touries noch einfacher. Schließlich gab es hier an den unterschiedlichsten Plätzen, gewaltige Hinweisschilder für im Osten verlorengegangene Metropolen innerhalb der Reichsgrenzen von 1937. Mit Kilometerangaben nach Stettin, Danzig, Posen, Breslau usw., indes keine Erinnerungen an größere Ansiedlungen unmittelbar hinter der Mauer.
Weit vor Breslau, aber in jene Richtung, etwa 100 Kilometer von hier, noch lange vor der Oberlausitz, liegt die Niederlausitz, dort befindet sich der Spreewald und mittenmang als größte Stadt, Chosebuz. Dies ist sorbisch und heißt auf Deutsch: Cottbus.

Für meine Begriffe ein merkwürdiger Ort. Anfang der Siebziger zog es mich als Langhaariger mehr nach Kolkwitz b. C. Allerdings lernte ich die damalige Bezirkshauptstadt später auch von einer anderen Seite kennen. Mit kurzen militärischem Haarschnitt, denn dieses Nest verfügte über einen netten, kleinen Knast aus Kaisers Zeiten.

Jetzt habe ich mich verfranst, also zurück zum Spreewald!
Aber wie ihn beschreiben?
Am nächsten kommt er den Everglades in Florida, nur viel, viel überschaubarer, außer dem nicht so heiß und ohne Alligatoren. Allerdings schon seit Jahrhunderten kultiviert. Deshalb können die dortigen Eingeborenen, ohne weiteres Vieh- und Pflanzenzucht betreiben. Weltberühmt sind Gurkengewächse, Sauerkraut und Leinenöl aus dieser Gegend. Außerdem kommen von dort sehr schmackhafte Wurstwaren.
Nicht zu verstehen ist die Tatsache, warum sich die Leute mit ihren Produkten verkriechen, dies haben sie wirklich nicht nötig.
Scheinbar bauen sie aber im Untergrund die alten Vertriebsnetze wieder auf.
Hauptsächlich wegen der Wurst kutschiere ich ab und an dorthin. Wie an selbigem Tage. Denn es sollte als Mittagsmahl „Tote Oma“ mit Sauerkraut und Kartoffeln geben. „Verkehrsunfall“ wird diese Speise auch genannt, oder „Graf Draculas Stippe“, ich meine Blut- und Leberwurst.
Dieses Gericht ist ohne großen Aufwand herzustellen.
Es muss soviel Wasser im entsprechenden Topf sein, damit die Würste bequem schwimmen können, als weitere Zutaten gehören etwas Salz, Pfeffer, Majoran und Lorbeerblätter dazu, je nach Belieben, auch Wachholderbeeren oder einige Pimentkörner.
Viele schmeißen die Würstchen nur in Salzwasser und bringen schlagartig alles auf Kochtemperatur, was diese sensiblen Teile absolut nicht abkönnen, wofür sie sich prompt rächen, in dem sie platzen.

Zirka drei Pfund Sauerkraut werden vorher mit Leitungswasser gespült, danach in einen Topf mit etwa 150 Gramm ausgelassenen Griebenschmalz gegeben. Dazu ein viertel Liter Wasser, sechs Wachholderbeeren, zwei große Lorbeerblätter, eine Nelkenblüteblüte, Pfeffer und Salz. Die gesamte Flüssigkeit verkoche man bei mäßiger Hitze mindestens viermal, verbunden mit ganz leichten anbacken des Ganzen am Boden. Zum Schluss wird alles mit Zucker, Wein und Zitrone abgeschmeckt. Zu Wust und Kraut werden Salzkartoffeln gereicht.
Während das Kraut langsam vor sich hin köchelte, wurden die verschiedensten Dinge erledigt.
Musste als erstes nochmals wegen fehlender Erdäpfel aus dem Haus.
Anschließend versuchte ich immer wieder eine telefonische Verbindung mit dem Kabarett „Die Wühlmäuse“ herzustellen. Dort fand an jenem Tage eine Premiere mit Hauptakteur Bruno Jonas statt, ihn galt es zu erreichen zwecks einer Frage meinerseits.
Irgendwann wurde der Tagesspitzel gekrallt, an jenem Tage richtig langweilig, ohne eine vernünftige Panikmeldung auf der Titelseite. Die Ereignisse vor der eigenen Haustür ließen den jahrelangen Terror und Gegenterror im Nahen Osten kurzzeitig verblassen.
Überall, in gesamtdeutschen Landen, war nach Aussage der Gazette, Entsetzen, Wut, Trauer, Unverständnis angesagt. Politiker aller Couleur hatten ihre Betroffenheitslarven wieder mal hervorgekramt, um vereint mit Kreide gebleichten Stimmen zu verbalisieren. Dabei gefällt mir bei den Staren aus der Regierung Bruder Johannes immer am Besten, mit seinem Gesicht das an eine ausgequetschte Zitrone erinnert, besonders in bewegten Bildern aus der Glotze.
Nebenher eignen sich die Einschaltquoten auch hervorragend zum Vorwahlkrampf.
Da ich mit dem Mittagessen auf den Filius warten wollte, kamen mir die 13-Uhr- ARD-Nachrichten gerade recht, selbige rieselten aber keine 30 Sekunden auf mich ein. Noch während des Begrüßungs-Bla-Blas wurde die Zuschauergemeinde daran erinnert, dass es sich heute um den vierten Tag nach Erfurt handelte, dies in entsprechender Maske und mit getragener Stimme deklamiert.
Dies musste mir geschehen, der sich schon immer schwer tat mit dem Datum, dass sie von der nicht eindeutigen Geburt des Herrn Jesus Christ ableiten. Hinzu kam, die Medien wollten mir schon ein knappes halbes Jahr vorher einreden, dass nach dem 11. September eine neue Ära begann.

Nebenbei bemerkt, habe ich erst fünf Monate später, die ersten sich bewegenden Aufnahme der steinernen Fackeln aus New York zu Gesicht bekommen. Allerdings kam mir damals, zwei Tage später, in einer türkischen Imbissbude am 13-ten, eine „BILD“ vom Vortag unter. Dieses mal mit wenig Schrift, aber wunderschönen ganzseitigen Bildern. Hat mich gewaltig beeindruckt, auf relativ miesem Papier diese Qualität der Abbildungen. Nebenbei war mir sofort klar, dieses Fanal wird keiner der Adressaten verstehen wollen. Schließlich hätte man diesen teuflisch-genialen Anschlag auch anders bewerkstelligen können. Zum B. die Freiheitsstatue mit einbeziehen, oder die „Landung“ in einem ausverkauften Baseballstadion zu probieren.
Nein, man nahm sich die Twintowers und einen kleinen Teil des Pentacons zum abbunsen vor…

An der Glotze betätigte ich jenen, oft vergessenen Schalter und wand mich wieder dem Telefon zu. Es kam weder eine Verbindung mit dem Kabarett zustande, noch mit Herrn Axel, dem heutigen Geburtstagskind. Konnte allerdings einen Salm auf der elektronischen Kommunikationsprostituierten loswerden, dann geschah nachmittags nichts Erwähnenswertes mehr. Außer, dass ich einen Krimi zu Ende las, der mich vom Abend davor und fast die ganze Nacht hindurch fesselte, obwohl mir über zwei Jahrzehnte in keiner Weise der Sinn nach dieser Art von Literatur stand. Die Empfehlung kam von meiner Freundin, außerdem machte mich der Autor, Pavel Kohout wieder mal neugierig, es handelte sich dabei um seine „Sternstunde der Mörder“ – empfehlenswert!

Kurz vor 18 Uhr sollte es mit dem Fahrrad in Richtung Theater gehen, verbunden mit einer kurzen Kaffeepause in der Stammkneipe. Dass diese wie üblich für das saufende Inventar überheizt war, konnte ich kurz nach dem Verlassen feststellen. Die gefühlte Kälte schien draußen unter Null zu liegen. Deshalb kam trotz Umsteigens für die Weiterfahrt nur die U-Bahn in Frage, die zwar nicht so warm wie die Pinte schien, dafür aber stinkender daherkam.

Nach etwa 15 Minuten konnte ich mir am Heuss-Platz endlich wieder etwas frischeren, leicht nach Benzin müffelnden Ostwind um die Löffel wehen lassen. Dabei fiel mir bruchstückhaft jene lustige Geschichte aus den Achtzigern wieder ein, die mit einer nichtsagenden Zeitungsnotiz begann. Aus der damals hervorging, dass ein Nichtsesshafter die „Ewige Flamme„ am Theodor Heussplatz entweit hatte. Man verhaftete den Täter, behandelte ihn so weit als möglich erkennungsdienstlich und ließ selbigen anschließend gleich wieder laufen. Vielleicht war dies gar nicht in seinem Sinne.
Den Rest erzählte mir kurz darauf ein Bekannter, zu fortgeschrittener Stunde im „Holzwurm“, der zufälligerweise an jenem Tage mit seiner Droschke am „Heussi“ herumlungerte.
Seit Jahren fehlte mir die Pointe, sie musste etwas mit der Aufschrift an dem eckigen Hinkelstein am unteren Teil des Platzes zu tun haben. Also überkam es mich heute, endlich mal dieses Zementmonster aus der Nähe zu betrachten, denn ewig fuhr ich oben auf der Strasse daran vorbei oder mit der U-Bahn drunter durch.
Beim Überqueren der Strasse huschten mir ein Haufen in Stein gehauene oder Metall gegossenen Banalitäten durch den Kopf. Außerdem ging auch der letzte, in Historie promovierte Kanzler, ewig mit so etwas hausieren. Wenn ich an den Heckmeck dachte, den er veranstaltete, was die Neue Wache Unter den Linden betraf. Ganz zu schweigen von den nun dort gemeißelten Worten, so zur „Mahnung“ gedacht. Dr. Kappes setzte sich schließlich mit seinem Lieblingsvers durch. Er betraf alle Opfer totalitärer Gewaltherrschaften rund um den Globus und zu jeder erdenklichen Zeit. Ergo, was unsere jüngerer deutche Gechichte betrifft, auch den netten SS-Soldaten von nebenan, der im Dritten Reich, in Ausführung seines verantwortungsvollen Dienstes besoffen vom Wachturm eines KZs gefallen war.

Da ruht am unteren Rand jener erhöhten Rasenfläche, ein Zementquader, ungefähr 2 Meter lang, 1,5m breit und schätzungsweise 1,8m hoch, obendrauf befindet sich eine auf drei Füssen stehende Bronzeschale von zirka einem Meter im Durchmesser, mit der „ewigen Flamme“.
Während mein Blick über die metallene Beschriftung auf der westlichen Seite glitt, kam mir langsam alles wieder, ließ dabei das Fahrrad vor dem Stein auf den Rasen kippen und gab mich der allseitigen Betrachtung hin.
Da man dieses Denkmal bereits Anfang der Goldenen Fünfziger kreierte, ging der Künstler sparsam mit einer Aufschrift um. Auf der zur Strasse nach Osten gerichteten Fläche stehen untereinander in großen Lettern, drei gehauene Worte untereinander, insgesamt etwa 1,50 hoch:

FREIHEIT
RECHT
FRIEDE

Nun ist diese Aufschrift nicht gerade prickelnd, aber für jeden etwas dabei in dieser Galaxie. Was soll man von solch „künstlerischer“ Trivialität eigentlich halten?
Beim Anblick, von in Stein gehauenen, oder gegossen verbalen Dünnschiss auf diesem Planeten, fällt mir fortwährend nur ein, dass Mahn– bzw. Denkmälern etwas kurioses an sich haben. Genauso wenig, wie jemand beim Anblick eines Grabmals auf die Idee käme mit graben zu beginnen, werden offensichtlich auch nur sehr wenige eines Tages von der Erkenntnis gekrallt, um letztendlich doch irgendwann über den Sinn eines Denkmals nachzudenken. Dies ist bei solch einem kleinen eckigen Brösel nicht anders als bei überdimensionierten Anlagen.
An einem Wintertag geschah hier folgendes
Tagsüber hockte jemand oben auf dem Steinquader, am Rand des Feuernapfes. Hielt als Windschutz mit der linken Hand einen Teil seines Mantels als Segel gegen die kalte Brise, mit der anderen eine geöffnete Dose in die blakende Flamme.
Schließlich tauchte, ob jenes ketzerischen Missbrauchs, die Polizei auf. Da der Koch sich nicht um die Herren unterhalb seiner Feuerstelle scherte, wurden die recht schnell ungehalten. Es entwickelte sich eine Rangelei, in deren Folge zuerst die Büchse abhanden kam. Denn der von unten so arg bedrängte, führte einen Veitstanz auf, um den schnappenden Griffen der Gendarmen zu entgehen. Seinerseits erfolgte auch bald die Kapitulation, da er fast nur noch in der blakenden Schüssel rumhüpfte und es ihm scheinbar etwas zu warm wurde. Schließlich lag unser Koch am Boden und ließ in den folgenden Minuten relativ ruhig die gewohnten Rituale von Staatswegen über sich ergehen.
Beim Abmarsch halfen ihm die grünen Genossen sogar, indem sie seine an den Stein gelehnten Sachen von der verschneiten Wiese, runter auf den Gehweg feuerten und ihn mit Gewalt vom Platz vertrieben. Allerdings beim Aufsammeln und ordnen seiner Utensilien verursachte der Obdachlose abschließend noch einen Menschenauflauf. Denn nun wurde von ihm lauthals gegen die Gendarmen gewettert, dabei berief er sich unter lachender Anteilnahme der ihn umgebenden Gaffer auf die Inschrift der anderen, westlich angebrachten Tafel.
An der ungefähr 1,2 mal einem Meter großen metallenen Fläche, befinden sich folgende zwei Sätze – wobei der aufgeregte Mann sich zeternd auf den letzteren berief.

DIESE FLAMME MAHNT:
NIE WIEDER VERTREIBUNG!

*(Siehe letzte Seite)

Schräg hinter dem Platz, am westlichen Ende hinter der Umgehungsstrasse befindet sich im Eckhaus das Kabarett „Die Wühlmäuse“. Noch während ich davor mein Hirschlein anschloss, stieg zufälligerweise der Herr J. aus einem Taxameter, Köfferchen in der Hand und einem geschulterten Kleiderbügel nebst Anzug. Meine Fragen, ob er auch noch privat auftreten würde, und für welches Honorar er bereit sei sich verbal zu prostituieren, wurden charmant und ohne Schnörkel abschlägig beantwortet.

Wieder zurück in der warmen Wohnung, beim Ablauschen der elektronischen Kommunikationsprostituierten, kam von Herrn Axel mit knarrender Stimme Anweisung, mich gegen 21 Uhr 30 in der Stammkneipe einzufinden. Er wolle mich nämlich an jenem Abend noch stolpern sehen, so von wegen eines Geburtstagsumtrunkes.
Zur angegebenen Zeit, ich befand mich noch einige Häuser vor der Pinte, konnte jeder in der Umgebung ein grölend-geschmettertes „häppie börsdä“ vernehmen, der Scheff musste kurz vor mir die Tränke geentert haben. Alles war noch am Knuddeln und Knutschen als ich eintrat und mich in der Reihe der Gratulanten platzierte. Whow, das Geburtstagskind nebst Freundin Katja mussten schon während des Dinners beim „Haxenwirt“ mächtig vorgeglüht haben, denn beide tänzelten haltsuchend am Tresen rum. Da kam meine kleine Aufmerksamkeit ja recht. Mir war als Geschenk nichts Vernünftiges eingefallen. Was sollte man jemanden schenken, der außer innerer Ruhe alles besaß. Der schon seit Jahren dem Müßiggang erlag und nebenher schreibend, als neuzeitlicher Don Quichotte, Macintosh sei Dank, chancenlos seine freie Zeit bekämpft. Davon zeugen mit Leitzordnern angefüllte Billy-Regale voller Dokumentationen, nicht zu vergessen, dieses klitzekleine Italienbüchlein aus vergangenen Zeiten.
Als guter Co-Alki kam mir schließlich die Idee mit verschiedenen 40 ml Zechfläschchen, bis auf eins, alles Produkte aus der kalten Heimat. Den Mescal ließ ich, mit einer Ahnung behaftet, wohl wissend dann doch weg. Nicht auszudenken, Herr A. aus B. hätte in seinem Zustand nicht registriert, dass zum Inhalt eines Mescalfläschchens auch eine fast Engerling große Raupe gehört, die man nach Möglichkeit zerkauen sollte, um sie anschließend gemeinsam mit dem Sud herunterzuspülen. Mancher wird sich ausmalen können, was so ein Brösel, wenn er unerwartet am Zäpfchen vorbeigleitet, bei einem Angesoffenen für eine Kettenreaktion auslösen kann. Deshalb erhielt der Scheff nur sechs Fläschchen Kumpeltod.

(Diese Marke, „Glück Auf“, wird jedem der volljährig erscheint, nach einer Grubenausfahrt im Bergbaumuseum von Wettelrode überreicht. Das heißt nicht, dass ich mich wegen der Püllchen sechsmal hintereinander Untertage begab.
Wie ich an die größere Anzahl dieser Medizin gelangte, spielt hier nun wirklich keine Rolle.)

Katinka gab sich an diesem Abend sehr vernünftig, nach einem abschließenden, kleinen Bier trollte sie sich. Vermutlich wollte sie am nächsten Morgen, als Angehörige der Kukident-Lehrerschaft eines Gymnasiums im südlichen Großberlin, ausgeruht vor ihre lernwilligen Teens und Twens treten. Finde schon, dass dazu einen gewisse Größe gehört, wenn man sich als Volksdrogenabhängige, wenige Jahre vor der Pensionierung, noch zu so etwas hinreißen lässt, schließlich geht in der Kneipe bestimmt mehr ab, als in einer Schule.
Na ja, nicht immer, q.e.d.
Die Ereignisse in Thüringens Hauptstadt verdrängten bestimmt die wichtigen Themen der letzten Monate in der Raucherecke – Frühpensionierung, Klimakterium, Zellulite und den Klassenkampf aus vergangenen, fast vergessenen alten Tagen…
Die letzten Ferien sind auch schon ein Weilchen her, die nächsten erst in ein paar Wochen, und die zählen gar nicht, diese popeligen zwei Tage…
Es stimmt, Pädagogen mag ich nicht besonders. Sie stehen schon jahrzehntelang auf meiner persönlichen Hasshitparade, noch vor Anwälten, auf Platz Nr.1. Zu den Ausnahmen, die ich an einer Hand ablesen kann, gehört allerdings Frau K. aus B.

Innerhalb kürzester Zeit zog ich an Axel vorbei. Frei nach der alten Ulbrichtdevise: „Überholen – statt einholen“. Während dieser Phase tauchten mehre russische Musiker in der Kneipe auf. Alles Angehörige der St. Petersburger Symphoniker, die seit einigen Wochen, im Hinterhaus höhlten und sich als Straßenmusikanten ein paar Westknöppe verdienten. Herr Axel zog sie rasch auf unser Niveau hinunter und begann nebenher, mir ein Ohr abzukauen. Auf Russisch sollte ich den Jungs klar machen, dass er am Vorabend des 1. Mai´s die Internationale hören wolle. Sein Ansinnen wurde aus mehreren Gründen schlicht abgelehnt. Erstens sprachen die Jungs nach zwei Monaten Aufenthalt besser Deutsch, als ich Russisch nach neun Schuljahren. Außerdem, was ging mich die Internationale an.
Nun war es an Axel, richtig tückisch zu werden. Ein weiteres großes Bier, nebst doppelten Wodka, veranlassten mich zu folgenden Satz in Lautschrift: „Towarischtsch Igor! Poschalüsta igrei pesnja po imeny Internationale!“
Stotternd trug mein Spezi diesen Satz vor. Was sofort Proteste von der anderen Seite auf den Plan rief. Statt „Towarischtsch“, sollte ich ihm das Wort „Gospodin“ erklären. Ob der übermäßig genossenen Volksdroge ließ sich das Geburtstagskind nicht beirren, er übernahm die Regie.
Jetzt folgten Stories, dass sich die Balken bogen! Früher, ja früher, da wurde sein Geburtstag immer mit der Internationale beendet, wegen des aufziehenden 1. Mai´s! Es wurde halt immer durchgesoffen und dann ging es zur Demo.
Nun ist mir Herr Axel schon seit über 15 Jahren bekannt und der ein oder anderen seiner Ehrentage waren Komatös für so manchen Anwesenden. Aber – von wegen Singen! Im höchsten Fall wurden schweinische Witze erzählt und über ankommenden Mädels hergezogen. Na ja, durchgesoffen wurde schon, aber nix mit anschließender Demo. Auch ist mir in diesen Nächten die Internationale zu keiner Zeit untergekommen, auch nie bei Geburtstagsexessen im „Zwiebelfisch“ oder in der „Briese“.

Herr A. aus B. und der Klassenkampf, fand ich schon lustig! Wie sollte der eigentlich aussehen, bei einem selbstverliebten, linkslastigen Gutmenschen mit krankhaftem Hang zu Harmonie? Nach meiner Erinnerung endete die Nacht immer damit, dass er es gerade noch in ein Taxi schaffte. Den folgenden Tag tauchte er ewig erst am ganz späten Nachmittag bei der dicken Prinzessin auf. Die war auf ihn immer sauer, denn an jenem Tag richtete sie traditionell ein kaltes Buffett, weil ihre Pinte mal an einem 1. Mai eröffnet wurde. So manches Mal musste ich mir dann eine Litanei von ihm anhören, über meine infantile Art den Kampftag des Proletariats zu begehen, wenn ich abends dreckig und verschwitzt aus K-berg kam. Trotzdem schienen alle arg neugierig auf Schilderungen von den dortigen Hasenjagden.

Langsam begann das Nochgeburtstagskind zu nerven, deshalb sollte unsere Zapferin die Musik lauter drehen, mit dem Erfolg, dass Herr A. mit spitzen Mündchen zu brüllen anfing, „poschlüsta Igor, poschalüsta! Mein Geburtstag ist gleich vorüber, bitte, bitte spiele für mich das Kampflied der proletarischen Internationale!“ Dabei katschte er in seine Hände und kam in diesem Moment vor, wie eines dieser neurotischen Gören einer ältlichen, chronisch untervögelten Mammi in violetter Latzhose und mit fettigen Haaren aus den Endsiebzigern.
Igor ließ sich breit schlagen, unter der Bedingung, dass zumindest ich mitsingen musste. Für Axel waren alle bereit einzufallen. Der Musiker trollte sich um seine Trompete zu holen.
Wieder zurück in trauter Runde, machte Axel Anstalten seinen Barhocker zu erklimmen, er wollte von oben dirigieren, was man ihm aber strikt verbot. Der Mann hatte eine Panne, er konnte noch nicht mal ruhig auf dem Boden stehen und dann dies. Der Trompeter gab zu verstehen, dass es am Geburtstagskind war, den Takt vorzugeben. Nun stützte sich der bezechte Dirigent mit seinen Ellenbogen auf dem Stehtisch ab, zählte bis drei und begann mit den erigierten Zeigefingern seinen Job, der erst mal scheiterte, da er vom Tisch rutschte und fast hinschlug. Wieder alles von vorn! Vorher gab es noch eine Anweisung. Igor sollte die erste Strophe in Russisch mitsingen und beim Refrain mit dem Instrument einsetzen. Es kam das Zeichen zum Einsatz. Außer Igor und mir kannte natürlich niemand den Text, was im Chaos unterging. Bis auf uns beide, fingen alle brüllend an, „Völker hört die Signale…“
Wieder von vorne. „Wacht auf verdammte dieser…“ Ab der vierten Zeile, wo die Macht zum Durchbruch dringt, hieß es nur noch La, La, La, und im Weiteren nur noch mit den Biergläsern der Takt geklopft.
Nun behauptet ja mancher Alki, seine Kneipe wäre das verlängerte Wohnzimmer. Mir kam der Laden, bei dem was sich nun entwickelte, aber mehr wie die Pförtnerloge einer Psychiatrie vor. Igor wollte scheinbar alles schnell hinter sich bringen und begann in dieses Chaos hinein mit seinem Trompetensolo. Ganz kurze Verblüffung beim Chor – für vielleicht zwei Sekunden Sangesruhe, dann mit doppelter Lautstärke weiter: „Völker hört die Signale…“ Da Igor mit seinem Spiel schon mehrere Töne vornweg trötete, musste dies von der Sängerschar aufgeholt werden, deshalb entwickelte sich nun alles wie in einem Tollhaus. Das Taktklopfen erinnerte mich an einen türkischen Basar, wo jeder Blechschmied in seinem eigenen Rhythmus das Metall mit dem Hammer trieb. Da zwischen Axel, der als Dirigent mehr an einen Veitstänzer erinnerte, und laufend ab lies, „ und noch mal…“
Für mich der Anlass auf der Toilette zu verschwinden. In diesem Moment ein dröhnendes Krachen. Gudrun, die gute Seele am Zapfhahn, hatte mit voller Wucht ein Halbliterglas auf den Tresen gehauen, „Und ab jetzt herrscht Ruhe im Puff!“
– Totenstille folgte.
Auf dem Topf bekam ich mit, dass Igor zu spielen anhub – „Il silencio“.
Als das Übelste der letzten Stunde, stellte sich abschließend heraus, dass es eine Scheißidee war, anschließend noch einen Türk-Burger einzupicken…
Bevor wir am frühen Morgen um die Ecke, in die Imbishütte vom Effendi stolperten, ward auch die Eiserner Reserve vom Schachtschnaps in der Stammdestille gekillt, da die Kneipersche sich irgendwann weigerte uns noch etwas auszuschenken.

*Abschließend noch eine Fußnote, betreffs dieses “Stelenfeldes” am Brandenburger Tor.
Da sieht ein vermeintlich bekokster Künstler im Modell vor sich ein wogendes Ährenfeld. Irgendwelche verbalen Schwanzlutscher, meinten es ihm gleichtun zu müssen. Fuhren dabei nicht nur auf seiner Pisse Kahn, sie wollen sich auch noch in seinem Schatten sonnen…
Dann konnte man das gesamte „Werk“ begutachten. Nach Jahren, von einem an Unwürdigkeit nicht zu überbietenden Hickhack, erschienen zur Eröffnung Massen mit ewig gleichen, stierenden Betroffenheitslarven und teilten Lobhudeleien nach allen Seiten aus.
Monate später drehe ich eine Runde mit dem Hirschlein, so zur Begutachtung, und wenn sich anschließend jemand nach meinem Eindruck vom Denk(e)mal erkundigte, widersprach mir hinterher niemand.
Mir kam es so vor, als handelte es sich hier um das Ergebnis der Bastelei, einer Therapiegruppe gutmenschelnder, kopflastiger Möchtegern-Heimwerker mit zwei linken Händen aber zehn Daumen. Die sich dessen ungeachtet viel Mühe gaben, ein Modell der Panzersperren vom Westwall aus Beton zu gestalten. Warum sie allerdings, scheinbar lustlos, eckige Phallussymbole kreierten, dafür ist mir als Erklärung noch nichts Passendes eingefallen.

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